Xiamen - Die Stadt der Gärten

Vom Höhenpark überblickt man den Großteil der Innenstadt. Gut zu erkennen: die letzten Kilometer des mächtigen Jiulong Rivers.

25. Februar 2018 - Nach einer langen Fahrt im Nachtzug rollen wir morgens im Bahnhof in Xiamen ein. Keine Sorge, bevor wir in China waren haben wir von dieser Stadt auch noch nie etwas gehört. Laut UN lag die Einwohnerzahl 2017 bei ca. 3.5 Millionen, somit ist die Küstenstadt ungefähr so groß wie Berlin und ist im Vergleich zu Shanghai eher ein gemütliches Örtchen. Wie die meisten Bahnhöfe chinesischer Großstädte tritt man aus dem Zug und findet sich in einer relativ gelassenen Menschenmasse wieder in die man wohl oder übel eintauchen muss und sich am besten erst einmal mit treiben lässt. Öffentliche Räume sind hier meist perfekt geplant, um viele Menschen unaufgeregt von A nach B zu schleusen. Wer immer noch denkt, wir deutschen seien ein Beispiel für Effizienz, der sollte das chinesische Eisenbahnnetz mal mit der Deutschen Bahn vergleichen.

Kurz bevor es durch die Sicherheitskontrolle auf die offene Straße geht, bleiben wir abrupt stehen: wo müssen wir jetzt eigentlich genau hin? Wir haben eine chinesische Adresse zu unserem Airbnb, aber da unser Gastgeber kein englisch spricht und Google Maps in China durch die Internet-Zensur der Regierung nicht funktioniert, sind wir unschlüssig in welchen Bus wir steigen sollen, geschweige denn welche Haltestelle die richtige ist. Zum Laufen ist es zu weit, also fragen wir die Dame die für die Fahrkartenkontrolle am Ausgang zuständig ist. Mit schüchternem Kopfschütteln gibt sie uns zu verstehen, dass sie kein Englisch spricht, also strecken wir ihr die Adresse mit fragendem Gesichtsausdruck entgegen. Sie winkt ihren jüngeren Kollegen herbei und der versteht schon etwas mehr. „No Taxi - Bus!“ Schnell zückt er sein Smartphone und gibt die Adresse in sein Handy ein. Ruck Zuck hat er die Busnummer herausgefunden und erklärt, wie wir zur richtigen Bushaltestelle kommen. Draußen wird gebaut, wie fast überall in den Städten Chinas, es ist es warm und staubig. Am Busbahnhof angekommen stehen wieder viele viele Menschen und im Minutentakt halten irgendwelche Busse an, oftmals mehrere Hintereinander gleichzeitig um dann kurz darauf wieder abzurauschen. Der öffentliche Nahverkehr auf Rädern scheint hier auch wie am Schnürchen zu funktionieren, wirkt aber um einiges chaotischer wie die perfekt organisierten Züge. Wir mustern aufmerksam jeden ankommenden Bus, aber unserer lässt wohl noch auf sich warten. Stehen wir auch wirklich richtig? Ungeduldig stehe ich am beengten Straßenrand mit dem großen 60 Liter Rucksack auf dem Rücken und dem „kleinen“ Tagesrucksack vor der Brust, hinter uns drücken sich Massen an Fußgängern vorbei und von vorn werden wir vom Verkehr dauerbeschallt. Ständig kommen Menschen an oder fahren ab, ich versuche Tobi bei dem hektischen Treiben nicht aus den Augen zu verlieren. Ganz schön anstrengend, dieses Chaos. Ich bin müde und unkonzentriert - der Rucksack scheint immer schwerer zu werden. Keine gute Kombination: Ich werde immer hibbeliger, würde Tobi am liebsten überreden einfach ein Taxi zu nehmen. Und in diesem Moment sehe ich die gesuchte Bus-Nummer zügig auf uns zu Rollen. Jetzt kommt leben in meine müden Glieder. Aufgeregt versuche ich abzuschätzen an welcher Stelle dieser unübersichtlichen Haltestellenansammlung der Bus zum stehen kommt. Hier könnte man sich schnell um 50 Meter verschätzen und viel Zeit bleibt einem anscheinend nicht, um zuzusteigen. Wir haben Glück und stehen genau an der richtigen Stelle. Wir haben keine Ahnung was das Ticket kostet, aber der Fahrer wird’s schon wissen. Tobi schätzt und steckt etwas Geld in den dafür vorgesehenen Behälter (im Nachhinein war das wohl etwas zu wenig) und wir finden sogar freie Sitzplätze. Ich bin erleichtert und hoffe fest, dass wir nun auch in die richtige Richtung fahren. Aber dank maps.me auf unserem Smartphone, können wir den Weg des Busses auf der Karte in Echtzeit verfolgen und mit jedem zurückgelegten Kilometer werden wir sicherer, die richtige Linie erwischt zu haben. Die Innenstadt liegt auf einer Insel, die mit einer Autobahnbrücke mit dem Festland verbunden ist und da unsere gebuchte Unterkunft etwas Außerhalb liegt, brauchen wir etwas 40 Minuten, bis wir endlich in einem netten, belebten Viertel aussteigen können. Die 820 Kilometer, die von Shanghai bis hier zurückgelegt haben, machen sich jedenfalls bemerkbar. Es ist warm, ja fast schon sommerlich und wir werden uns immer mehr bewusst, dass wir nach der langen Zeit winterlicher Temperaturen endlich dauerhaft auf unsere Handschuhe und Strickmützen verzichten dürfen! Als wir an der angegebenen Adresse ankommen, stehen wir vor einem größeren Gebäude mit vielen Apartments, keine Ahnung welche Wohnung unsere sein soll, außerdem ist der Eingang mit einer Gittertür verschlossen. Als erstes versuchen wir den Gastgeber telefonisch zu erreichen. Leider erfolglos. Jetzt stehen wir hier wieder voll bepackt an der Straße und wissen nicht wohin! Schon wieder werde ich unruhig und nervös - Tobi bemerkt sofort meine aufsteigende Unsicherheit. Er macht kurzerhand das nächste Café ausfindig, fragt nach dem WLAN Passwort und bestellt 2 Eiskaffee. Als wir in dem kleinen Innenhof sitzen, unserem Host schreiben wo wir auf ihn warten und uns die Sonne ins Gesicht scheinen lassen, entspanne ich mich wieder. Ich weiß nicht was ich ohne Tobi machen würde. Wenn ich müde, durstig oder hungrig bin und dann etwas nicht auf Anhieb klappt, werde ich total schnell nervös - er schafft es dann immer, mich zu beruhigen. Schließlich müssen wir ja einfach nur etwas warten! Nach 20 Minuten taucht eine Frau im Café auf und winkt uns zu. Juhu, unsere Gastgeberin hat uns gefunden! Ohne Englischkenntnisse aber mit einem großen Lächeln auf den Lippen zeigt sie uns die Unterkunft. Wir nutzen eine Mischung aus Google Translate und WeChat um zu kommunizieren, das klappt eigentlich wunderbar. Das Studioapartment ist sauber und eigentlich ganz gemütlich, nur der Papagei auf dem Balkon ist nicht sonderlich begeistert von uns und verschwindet schnell in seinem kleinen Häuschen.

Wir holen erstmal ein paar Stunden Schlaf nach und erkunden später nur die unmittelbare Nachbarschaft. Es ist eine nette Gegend bestehend aus Mehrfamilienhäusern, vielen kleinen Geschäften und einem günstigen kleinen Restaurant direkt vor der Haustür das wir noch am selben Abend ausprobieren. Als wir durch die Tür treten kommt der Kellner mit weiten Augen auf uns zu und bietet uns mit übertrieben ausladender Geste einen Platz an einem der weißen Plastiktische an - wir haben schon gemerkt, dass sich hier in die Gegend wohl nicht sehr häufig Ausländer verirren. Wie immer versuchen deutlich zu machen, dass wir kein Fleisch essen, meist kommt dann verzweifelt die Frage: „Egg okay?“ Ab und zu sagen wir dazu auch ja. Wann wir das letzte mal aber selbst eine Schachtel Eier gekauft haben, daran können wir uns garnicht mehr erinnern. Wir bekommen jedenfalls einfaches, aber gutes vegetarisches Essen serviert. Anfangs hatten wir ein paar Bedenken, ob wir gut als Vegetarier in China durchkommen werden. Absolut unbegründet: echte chinesische Küche ist super für Vegetarier geeignet und hat wenig mit den Gerichten zu tun, die man in Deutschland im klassischen Chinarestaurant findet. Natürlich findet sich auch hier viel Fleisch und Fisch auf den Speisekarten und die Gründe warum man keine Tiere isst sind für die Einheimischen nicht immer so recht nachzuvollziehen. Trotzdem gibt es fast überall auch ohne „Extrawurst“ zahlreiche traditionelle vegetarische (und auch vegane) Gerichte zur Auswahl! In China läuft das nämlich ein bisschen anders beim Essen gehen. Wenn in Deutschland meist jeder für sich ein Hauptgericht ordert, werden hier in der Regel viele verschiedene Leckereien für den ganzen Tisch bestellt, die sich dann alle zusammen teilen. Hier ist fast immer auch viel vegetarisches dabei - frisches Gemüse, gedünsteter Pak Choi, gebratene Bohnen, gefüllte Teigtaschen, frittierter Tofu, Wasserspinat, gebackene Auberginen, Nudeln in allen Variationen, getrockneter Rettich, Saitan, steamed buns (ähnlich unserer Dampfnudel, ab und zu mit deftiger Füllung) - die Liste lässt sich endlos fortführen.

Nicht zu vergessen unser momentaner Favorit: Sichuan Stir-Fried Potatoes! Hier werden Kartoffeln in gaaanz dünne Streifen geschnitten und mit Knoblauch, Chili, Sojasauce und Essig scharf angebraten. Das ganze wird abgerundet durch den speziellen Geschmack des Sichuan Pfeffers. Dieser ist nicht mit normalem schwarzem Pfeffer verwandet und hat einen ganz speziellen Geschmack (zitrusartig mit leichtem nicht sehr scharfem Prickeln) der für europäische Gaumen noch durch zwei recht ungewöhnliche Effekte verstärkt wird. Der erste Effekt ist ein kurzes angenehmes Taubheitsgefühl der Lippen und der Zunge, der zweite Effekt wirkt speichelanregend. Klingt seltsam? Ihr solltet es auf jeden Fall mal versuchen, wir können jedenfalls nicht genug davon bekommen! Die ganzen Kapseln sind aber nur zum Würzen und nicht zum Essen gedacht. Zuviele davon können abführend wirken. ;)

Auch wenn wir immer versuchen kein Missverständnis bei den Zutaten entstehen zu lassen, können wir natürlich nie zu 100 Prozent sicher sein, dass nicht doch ab und zu Fleischbrühe oder andere, nicht sichtbare tierischen Zutaten verwendet werden. Wir glaube aber, dass wir das in der Regel auch herausschmecken können (es ist uns schon ein paar mal auf unserer Reise passiert, dass wir etwas bestellt haben, das theoretisch vegetarisch ist aber dann doch diesen unverkennbaren Fleischbrühen oder Fischsaucen Geschmack hatte). Das kommt selten vor. Die Bestellung läuft dann ungefähr so: Wir zeigen auf das abgebildete Gericht, dann auf ein Foto auf unserem Handy auf dem auf chinesisch steht, dass wir Vegetarier sind, kein Fleisch, kein Fisch, keine Knochen, keine Brühe, keine Fischsauce essen, dann verstärken wir dies mit der universell verständlichen „Nein-Geste“ überkreuzter Arme und einem Kopfschütteln begleitet von einem Lächeln (wir wollen die Menschen ja nicht zu sehr verschrecken). Das ganze wird dann wiederholt, bis wir das Gefühl haben unser Gegenüber hat verstanden. In China ist das Konzept des Vegetarismus aber nicht unbekannt, da viele Mönche vegetarisch leben und Fleisch traditionell immer sehr teuer war. So kommen wir sehr gut zurecht und freuen uns jedes Mal über den abwechslungsreich gedeckten Tisch.

Geografisch gesehen liegt die Stadt direkt vor der Küste Taiwans und ist dank des subtropischen Klimas unter Chinesen ein beliebter Urlaubsort. Wir sehen in den drei Tagen die wir hier verbringen allerdings keinen einzigen Westler und sind begeistert von den großartigen Parkanlagen die es überall zu entdecken gibt. Hier gehen die Leute Joggen oder mit dem Hund spazieren, treffen sich mit Freunden, oder gehen einer der zahlreichen Freizeitaktivitäten nach, die hier mehr oder weniger populär sind. Die Metropolen Chinas bieten sehr viel Lebensqualität und die Gartenstadt Xiamen ist da keine Ausnahme. An der Promenade und in den ausladenden Parks versammeln sich die Einheimischen zu verschiedensten Freizeitaktivitäten! Aus riesigen Musikboxen dröhnt chinesische Popmusik über einen Platz auf dem Paare aus allen Altersstufen energisch das Tanzbein schwingen. Wer gerade pausiert, nimmt auf einem der vielen orangenen Plastikstühle Platz und bewertet fachmännisch die Skills der Anderen. Wenige Meter weiter sitzen ältere Herren in großen Gruppen unter schattenspendenden Sonnensegeln, und spielen Karten. Hier wird geraucht und die Züge der Mitspieler lautstark kommentiert. Um die besten Zockertische sammeln sich große Zuschauertrauben, die angespannt mitfiebern. Am Rande der Promenade haben sich einige Männer an der Hafenkante versammelt um stolz ihre riesigen Drachen steigen zu lassen. Nebenan versuchen Angler ihr Glück. Eigentlich wollten wir auf die Insel Gulangyu übersetzen - eine der größten Attraktionen Xiamens. Die Insel ist autofrei und ein Kleinod kolonialer Architektur. Als wir allerdings die Tickets für die Fähre kaufen wollen, hält uns die Dame am Verkaufsschalter einen Zettel entgegen. Auf englisch steht dort erklärt, dass an diesem Hafen nur Einheimische abfahren dürfen und es einen gesonderten Hafen für die Touristen gibt. Dieser liegt einige Kilometer von unserem jetzigen Standort entfernt. Dann hats wohl nicht sollen sein, denken wir uns und beschließen auf die Besichtigung der Insel zu verzichten. Stattdessen streunen wir weiter durch die Gassen und Gärten Xiamens und werden nach der Erklimmung des Höhenparks mit einem fantastischen Panorama der Stadt belohnt.

Unser Fazit: wunderbares Klima, viel Grün, das Meer vor der Tür und eine lebhafte Innenstadt, die weniger mit Schick protzt, sondern mit Sauberkeit und Lage punktet. Immer wenn wir einen Ort verlassen fragen wir uns, ob wir hier (wenigstens für eine bestimmte Zeit) leben könnten und hier fällt uns das “Ja” relativ leicht. Auch wenn man es hier aushalten könnte, wir müssen weiter! Xiamen war eigentlich nur als kurzer Zwischenstopp geplant, um von hier aus weiter ins Inland zu den traditionellen Rundhäusern des alten Volksstammes der Hakka zu reisen. Verglichen mit dem Großstadtleben erwartet uns hier eine ganz andere Welt..